Digitale Edition und Analyse der Medialität diplomatischer Kommunikation: Kaiserliche Gesandte in Konstantinopel in der Mitte des 17. Jahrhunderts
Carina Koch, Lisa Brunner, Anna Huemer, Christoph Würflinger
Das FWF-Projekt Die Medialität diplomatischer Kommunikation untersucht den Informationstransfer zwischen Konstantinopel und dem Kaiserhof in Wien anhand schriftlicher Zeugnisse diplomatischer Missionen (Briefe, Reisebericht, Abschluss- und Geheimbericht, Instruktionen) aus der Mitte des 17. Jahrhunderts mit digitalen Methoden. Die Quellen geben Auskunft über Probleme interkultureller und interreligiöser Koexistenz, daraus resultierender Konflikte und Lösungsstrategien (Meienberger 1973, Droste 2006). Sie vermitteln jedoch keine objektiven Informationen, da sie von Diskurstraditionen, den Interessen und der Selbstdarstellung der Akteure sowie von den Bedingungen der Übermittlung (Postwege, Informationssicherheit) beeinflusst waren. Die Medien hatten also Einfluss auf den Wissenstransfer zwischen den habsburgischen Diplomaten und dem Kaiserhof und bestimmten die öffentliche Wahrnehmung des Osmanischen Reiches (Faulstich et al. 2007). Die ausgewählten Quellen werden deshalb aus medienwissenschaftlicher Perspektive computergestützt analysiert, wodurch a) ein besseres Verständnis der Konstruktion des in (Mittel-)Europa vorhandenen Wissens über die Osmanen und den Islam, das mitunter bis heute nachwirkt, ermöglicht wird und b) umfangreiches Wissen über die Nutzung von Natural-Language-Processing (NLP) mit deutschen historischen Texten gesammelt wird.
Ein Ergebnis des Projekts ist die Digitale Edition der Quellen mit verschiedenen Perspektiven auf die Texte.1 Neben digitalen Faksimiles und Transkriptionen enthält sie semantische Anreicherungen und Visualisierungen, um Wege des Wissenstransfers und Diskurstraditionen aufzudecken. Historische Hintergrundinformationen werden durch die Kontextualisierung der Quellen bereitgestellt.
Die historisch-kritische Ausgabe wird nach den TEI-P5-Richtlinien2 modelliert und folgt (wenn möglich) dem DTA-Basisformat3. Textstrukturen (Absätze, Überschriften) und textkritische Befunde (Korrekturen, Randbemerkungen) bilden die Basiskodierung. Zudem werden historische Interpretationen (z. B.: Personen, Ereignisse, Korrespondenzformeln oder Plagiate) systematisch ausgezeichnet und mit Identifikatoren versehen. Für die Datenanreicherung werden Semantic Web-Technologien herangezogen: SKOS4 als Vokabular für selbst erstellte Register sowie kontrollierte Vokabularien (z. B.: GND, VIAF, GeoNames)5 zur Datenverknüpfung nach außen. Beschreibende Informationen zum Reisebericht folgen den Richtlinien des TEI-Moduls msdescription 6. Die CMIF-TEI-Erweiterung7 der Briefkodierung ermöglicht den Datenaustausch mit dem Webservice CorrespSearch 8 . Basierend auf der Kodierung werden die Inhalte für den Vergleich der beiden Medientypen aufbereitet.
Ein Teil der Daten wird experimentell mit NLP-Tools verarbeitet. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar, da sich die Werkzeuge für historische Texte erst in der Entwicklung befinden (Piotrowski 2012). Grundlegende Analysen können mit N-Grammen durchgeführt werden, um wiederkehrende Textmuster zu erkennen. Mit Hilfe von DTA-CAB9 wird mit Lemmatisierung, Named-Entity-Recognition zur Identifizierung von räumlichen Informationen oder Personen und Part-of-Speech-Tagging zur Analyse der Verwendung von Stil experimentiert. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, Plagiate aufzudecken oder die Frage zu beantworten, wie Informationen vermittelt werden und welche Meinungen (positiv, negativ, neutral), insbesondere im Zusammenhang mit der Charakterisierung von Personen oder der Selbstdarstellung der Schreiber, geäußert wurden. Für die Sentimentanalyse wird semiautomatisch eine Liste stimmungstragender Ausdrücke als Sentimentlexikon herangezogen, da für den betroffenen Zeitraum kein Sentimentlexikon existiert.
Anmerkungen:
1 Digitale Verfahren erzeugen eine transmediale Darstellung von Text. Zur Transmedialität von Text s. Sahle 2016 und Sahle 2010.
2 TEI-Consortium: TEI P5-Guidelines for Electronic Text Encoding and Interchange. 2018. http://www.tei-c.org/release/doc/tei-p5-doc/en/Guidelines.pdf.
3 Das DTA-Basisformat (DTABf) ist das von Clarin-D und der DFG empfohlene TEI-Format für historische Texte. http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat.
4 SKOS Reference W3C Recommendation 18 August 2009, edited by Alistair Miles and Sean Bechhofer, http://www.w3.org/TR/skos-reference.
5 Gemeinsame Normdatei (GND) https://www.dnb.de/DE/Standardisierung/GND/gnd_node.html, Virtual Authority File (VIAF) http://viaf.org, GeoNames https://www.geonames.org.
6 TEI Manuscript Description, https://www.tei-c.org/release/doc/tei-p5-doc/en/html/MS.html#msov
7 Das Correspondence Metadata Interchange Format wird von der TEI Correspondence SIG entwickelt, https://correspsearch.net/index.xql?id=participate_cmi-format&l=de.
8 correspSearch. Search scholarly editions of letters, https://correspsearch.net, s. Dumont 2016.
9 https://kaskade.dwds.de/demo/cab. Das Deutsche Textarchiv (DTA) hat mit CAB (Cascaded Analysis Broker) ein Programm für die linguistische Analyse historischer Texte entwickelt, das historische Schreibvarianten auf moderne Wortformen abbildet, s. http://www.deutschestextarchiv.de/doku/software#cab.
Literatur:
- Droste, Heiko. 2006. Im Dienst der Krone: Schwedische Diplomaten im 17. Jahrhundert. Berlin: LIT.
- Faulstich, Werner et al. 2007. ”Medialität.“ In Handbuch Literaturwissenschaft, Bd. 1: Gegenstände und Grundbegriffe, edited by Thomas Anz, 203-264. Stuttgart: J.B. Metzler.
- Meienberger, Peter. 1973. Johann Rudolf Schmid zum Schwarzenhorn als kaiserlicher Resident in Konstantinopel in den Jahren 1629-1643: Ein Beitrag zur Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Türkei in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Bern: Lang.
- Piotrowski, Michael. 2012. Natural Language Processing for Historical Texts. San Rafael, Calif: Morgan & Claypool.
- Sahle, Patrick. 2010. “Zwischen Mediengebundenheit und Transmedialisierung: Anmerkungen zum Verhältnis von Edition und Medien.“ editio 24: 23-36.
- Sahle, Patrick. 2016. “What is a scholarly digital edition (SDE)?“ In Digital Scholarly Editing: Theory, Practice and Future Perspectives, edited by Matthew James Driscoll and Elena Pierazzo, 19-39. Cambridge, UK: Open Book Publishers.