Ingo Börner, Vanessa Hannesschläger, Isabel Langkabel, Katharina Prager
Angeregt durch die Rechtsreformen der österreichischen Ersten Republik – insbesondere des Presserechts – trug Karl Kraus (1874–1936) seinen seit 1899 über seine Zeitschrift Die Fackel ausgefochtenen ‘Kampf ums Recht’ nun auch regelmäßig in die Gerichtssäle. Der Wiener Rechtsanwalt Oskar Samek (1889–1959) wurde hierbei ab 1922 sein wichtigster Verbündeter und vertrat Kraus in der (außer-)gerichtlichen Regelung von Medien-, Ehrenbeleidigungs-, Urheberrechtsdelikten u. v. m.
Samek ist es zu verdanken, dass sich die Akten, die Kraus’ Prozesse dokumentieren, erhalten haben. Er nahm diese Unterlagen auf seiner Flucht vor den Nationalsozialisten mit sich ins Exil nach New York, von wo sie nach Sameks Tod 1959 an die Wienbibliothek im Rathaus zurück kamen. Dort werden sie seither verwahrt und wurden im Zuge der Reorganisation des Karl Kraus-Archivs (seit 2012) neu geordnet, verlistet und gescannt. Die Digitalisate des etwa 4000 Blatt starken Bestands sind seither über die Plattform Karl Kraus Online und in der digitalen Wienbibliothek verfügbar.
Bereits in den 1990er-Jahren wurden die Rechtsakten der Kanzlei Oskar Samek von Hermann Böhm ediert. Diese vier Bände dienen der digitalen Edition als Textgrundlage. Dazu wurde die Vorlage mit der Texterkennungssoftware Tessaract eingelesen und entsprechend den TEI Guidelines codiert.
Zur weiteren Bearbeitung der Dateien wird eine Applikation für die XML-Datenbank eXist-db entwickelt, mit der die Dateien für die eigentliche digitale Edition erzeugt und weiter angereichert werden. In diesem Bearbeitungsschritt erfolgt zunächst die Verknüpfung der Dokumente mit den über eine IIIF-Schnittstelle seitens der Wienbibliothek bereitgestellten digitalen Faksimiles. In Böhms Edition nicht oder nur teilweise aufgenommene Dokumente werden über die Plattform Transkribus erschlossen und anschließend in die Datenbank zur Weiterbearbeitung eingespielt. Die Einbindung weiterer Materialien aus der Plattform AustriaN Newspapers Online (ANNO) mittels IIIF-Schnittstelle ist ebenfalls vorgesehen.
Im Anschluss an die Kollationierung werden die Dokumente auch inhaltlich entsprechend den TEI Guidelines ediert. Dabei gibt es zwei große Herausforderungen: Erstens muss ein Weg gefunden werden, bereits bestehende Modellierungen bzw. Ordnungslogiken dieses Bestands (wie in der Böhm-Edition und in der Bestandsliste der Wienbibliothek vorgefunden, aber auch wie in Karl Kraus Online als Grundlage eines anti/biographischen Zugangs angelegt) wiederzugeben und in TEI abzubilden. Andererseits ist die Entscheidung zu treffen, welche über den Text hinausgehenden Elemente der Edition (Entitäten wie Personen, Institutionen und Orte, aber auch Klassifikationen von Dokumententypen und juristischen Vorgängen) in TEI abgebildet werden und für welche sich andere Datenorganisationsformate besser eignen. So ist etwa vorgesehen, Taxonomien im Format des Simple Knowledge Organisation System (SKOS) abzubilden und in die Edition einzubinden. Ebenso sollen Personen und Institutionen in die auf APIS basierende Datenbank Personen der Moderne Base (PMB) eingepflegt und von dort aus eingebunden werden.
Neben diesen bestands- bzw. editionsinhärenten Aspekten ist auch die Verknüpfung bzw. der Vergleich mit externen Textressourcen ein zentrales Anliegen. Um der Frage der Intertextualität nachgehen zu können, werden bis zum Projektende 2021 die edierten Unterlagen einerseits mit den historischen Gesetzestexten, die im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) verfügbar sind, in Beziehung gesetzt und andererseits mit Kraus’ eigenem Schreiben über die so dokumentierten Prozesse in seiner Zeitschrift Die Fackel, die ebenfalls digital im Volltext vorliegt, verglichen.
Literatur:
References:
- Austrian Academy Corpus AAC. Die Fackel Gate. http://corpus1.aac.ac.at/fackel/
- Böhm, Hermann (Hg.). 1995-1997. Karl Kraus contra ... Die Prozeßakten der Kanzlei Oskar Samek in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Band 1-4. Wien: Wiener Stadt- und Landesbibliothek.
- Hannesschläger, Vanessa, und Peter Andorfer. 2019. I Want it All, I Want it Now. Literature researcher meets programmer. In Krauwer, Steven und Darja Fišer (Hg.). Twin Talks at DHN2019: Understanding Collaboration in DH. Proceedings. Copenhagen. URL: https://cst.dk/DHN2019Pro/TwinTalksWorkshopProceedings.pdf
- Hannesschläger, Vanessa und Katharina Prager. 2015. Ernst Jandl and Karl Kraus – Two Lives in Bits and Pieces. In Serge ter-Braake et al. (Eds.). Biographical Data in a Digital World 2015. CEUR workshop proceedings Vol. 1399. Amsterdam. http://ceur-ws.org/Vol-1399/
- Prager, Katharina. 2015. „Einer, der’s gut mit mir meint, vermißte meine Biographie“. Anti/Biographische Affekte um Karl Kraus. In BIOS 1+2, 266-280. doi:10.3224/bios.v28i1-2.15
- Prager, Katharina. 2017. Objekt des Monats April 2017: Karl Kraus und sein “Drang zu activer Klageführung”. Wien. https://www.wienbibliothek.at/bestaende-sammlungen/objekt-monats/objekte-monats-2017/objekt-monats-april-2017-karl-kraus-drang
- Prager, Katharina. 2017. Karl Kraus Online. Wien: Wienbibliothek im Rathaus. https://www.kraus.wienbibliothek.at/
- „Sammlung Prozessakten Oskar Samek – Karl Kraus“. Digitale Wienbibliothek. https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv02/content/titleinfo/2540007 Bestandsliste der Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung ZPH 1545. http://share.obvsg.at/wbr02/LQH0268523-1201.pdf